Geriatrie-Ökonomie

Deutschland verkalkt. Und das ist nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz wörtlich gemeint:

Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn die tonangebende Bevölkerungskohorte an den Schalthebeln der Macht in Wirtschaft und Politik immer älter und größer wird und gleichzeitig weniger frische, junge Leute als Gegengewicht nachkommen? Nun, es passiert das Gleiche wie mit vielen Menschen, wenn sie älter werden: Die Ansichten werden konservativer, die Gesundheit schlechter, man bewegt sich vorsichtiger, weil bereits ein kleiner Ausrutscher einen Schenkelhalsbruch auslösen kann. Man sonnt sich nostalgisch in vergangenen Zeiten, lebt eher in der Rückschau als in der Zukunft und schaut miesepetrig der Welt bei der Veränderung zu – nicht ohne mit Missfallen zu bemerken, dass man es so viel besser machen würde, wäre man selbst noch jung.

Die deutsche Wirtschaft scheint bereits heftig von diesem Virus der „Geriatrisierung“ befallen zu sein. Und wir alle schauen zu:

  • Der Bankensektor: kaputt. Dresdner Bank weg, Commerzbank krebst herum, Deutsche Bank versucht, aus den Trümmern der Skandale noch ein halbwegs funktionierendes Bankhaus zu bauen. Bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken sieht es nicht viel besser aus.
  • Die Autobranche: wird gerade bewusstlos geprügelt. Diesel-Hysterie, das Elektro-Zeitalter und das Geschrei um die angebliche Klima-Apokalypse lässt Zulieferer pleitegehen, Tausende Jobs bei Herstellern und Zulieferern werden gekillt.
  • Die Energieversorger: werden abgwickelt, nachdem Deutschland kopf- und planlos sowohl aus der Atom- als auch aus der Kohleenergie aussteigt und gleichzeitig keine Windräder mehr bauen darf (wenn es nach Minister Altmaier geht).
  • Die Software-Industrie: Neben dem Dinosaurier SAP gibt es kein deutsches IT-Unternehmen von Weltrang. Eventuell demnächst Wirecard, wenn es nicht im Strudel von Bilanz-Skandalen untergeht und/oder den Krieg mit der Financial Times verliert.
  • Die Startup-Szene: konzentriert sich in Berlin. Und kaum dass wir so etwas wie eine Gründerkultur erzeugen, will die Politik für Startups eine DIN-Norm entwickeln, damit bei der Gründung auch alles nach guter deutscher Ordnung abläuft (kein Scherz).

Man könnte die Liste der heruntergerockten Branchen beliebig verlängern. Mental kann man daher meiner Meinung nach in Deutschland von einer „Geriatrie-Ökonomie“ sprechen. Die deutsche Wirtschaft ist im Herbst ihrer Blüte angelangt, kraftlos und bürokratieverliebt. Wäre die deutsche Wirtschaft ein Produkt, würden Marketing-Leute vom kommenden Ende des „product life cycle“ sprechen. Wir leben in nostalgischen Erinnerungen an unsere glorreiche Vergangenheit von „Made in Germany“, während Google und zehntausende chinesische Ingenieure an unsere Wohlstandstür hämmern. Und wir? Diskutieren über Unisex-Toiletten, Flugscham und die SPD.

Die Deutschen und mit ihr die Wirtschaft sind wie 80jährige im Altersheim: satt, müde, ohne Blick in die Zukunft. Und ja, vielleicht muss es erst schlimmer werden, bevor es besser wird. Der alte Kotter hatte für Wandel im Unternehmen mal als erste Parole ausgegeben: „Einen Sinn für Dringlichkeit erzeugen“. Das halte ich fragwürdig. Entweder du merkst, dass dir der Hintern brennt, und tust was. Oder eben nicht. Dann wirst du halt abgewickelt. Willkommen in Deutschland 2019.

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