New Work: Sprachlicher Kauderwelsch und die Gefahr des Elfenbeinturms

Bild eines Business-Towers

Sprache kann verbinden. Jeder Frankreich-Tourist weiß, dass es verdammt noch mal dazugehört, Französisch zu sprechen anstatt Zeichensprache oder – Gott behüte – Englisch. Für Franzosen ist es als gránde nation selbstverständlich, dass die Welt Französisch spricht. Soviel zur Aufgabe kultureller Hegemonie-Ansprüche im frühen 21. Jahrhundert.
Sprache kann allerdings auch trennen. Wenn der Frankreich-Tourist daheim nicht fleißig war und sein Baguette mit zwei Fingern auf Finnisch bestellt, kann der durchschnittliche Garcon schonmal unkontrolliertes Augenzucken bekommen. Dabei geht es mir gar nicht um Frankreich, mon dieu! Die Franzosen sind allerliebst, nennen ein wunderschönes Land ihr eigen, haben allerdings mit Le Pen die Pest am Hals. Aber das ist ein anderes Thema.

Wenn Berufsgruppen eigene Begriffe entwickeln, entstehen sprachliche Ghettos

Manchmal braucht es gar keine unterschiedlichen Nationalsprachen, um sich nicht zu verstehen. Wenn ein Japaner kein Englisch spricht und der Engländer kein Japanisch, sind die Probleme offensichtlich. Verzwickt wird es, wenn sich gesellschaftliche Gruppen sprachlich abschotten, ihre eigenen sprachlichen Codes entwickeln und sich dadurch in eine sprachliche Parallelwelt begeben, in die man ihnen nicht folgen kann bzw. folgen soll. Man kennt das aus der Seefahrt, dem Jagdwesen oder auch der Finanzbranche. Dort werden „Positionen geshorted“, wenn es tatsächlich darum geht, auf fallende Aktienkurse zu wetten. Oder man muss ein „Disagio“ zahlen. „Gebühr“ wäre genauso treffend, aber wer will in der Finanzbranche als Dienstleister schon verstanden werden? Wer als Kunde nicht versteht, kann nicht beurteilen und wird dem betuchten Finanzmann eventuell einfach so seine Kohle rüberschieben. Man will schließlich nicht als Dummkopf dastehen. Und so akzeptieren wir unverständlichen Kauderwelsch bei Medizinern, Jägern, BWLern, Ingenieuren und so weiter.

Die Tür der Sprache schwingt nach beiden Seiten

Nun ist wenig dagegen zu sagen, wenn Ingenieure oder Mediziner untereinander ihre Fachsprache verwenden. Man versteht sich durch den fachlichen Hintergrund und kann auf hohem Niveau diskutieren. Knifflig wird es, wenn sich solche Gruppen dem Durchschnittsmenschen, dem Kunden oder dem Patienten gegenüber verständlich machen sollen. Da versteht Otto Normalmensch oft nur Bahnhof. So geht ein wichtiger Aspekt der Kommunikation flöten. Dialog besteht eben nicht nur aus Sagen, sondern aus Hören, Interpretieren und Verstehen. Stockt der kommunikative Prozess auf einer Stufe, stockt der Dialog und damit der geistige Austausch. Insofern schießen sich Ghettogruppen wie Mediziner oder Jäger ins eigene Knie, wenn sie sich in die Burg ihrer Fachsprache zurückziehen. Und das ist schade, denn man kann und will ja durchaus lernen von den Fachleuten.

Auch die New Worker laufen in die Falle des Elfenbeinturms

Liest man Artikel und Forenbeiträge zu New Work, drängt sich einem der Eindruck auf, dass auch hier eine Ghettoisierung der Sprache droht. Der Moderator wird zum „Facilitator“, Teams werden zu „Circles“ und Projektmeetings zu „Sprints“. Berater und Consultants nannen sich nicht mehr so, sondern sind „Evangelisten“, „lernende Irritatoren“ oder gar „systemische Videoberater“. Bei aller Liebe zu sprachlicher Extravaganz: Dass manche Angehörige „normaler“ Unternehmen hier aussteigen und sich fragen, bei welcher Truppe sie wohl gelandet sind, kann ich durchaus nachvollziehen. Und diese sprachliche Ghettoisierung ist sehr schade, denn New Work hat inhaltlich viel zu erzählen und zu geben. Sich da die Eintrittskarte durch blumige und irritierende Begriffswolken selbst zu entziehen, ist nicht klug.

Wenn etwas grundsätzlich Neues beschrieben werden soll, haben auch neue Begriffe ihre Berechtigung. Allerdings sollte man die Übersetzungsleistung gleich mitliefern. Hier sind auch die New Worker in einer Bringschuld. Begeisterung ersetzt nicht die verständliche Kommunikation. In diesem Sinne sollte man sprachliche Ghettoisierung vermeiden und, wo immer möglich, alltagstaugliche Begriffe verwenden. Ohne Verständnis keine Diskussion über die Zukunft der Arbeit. Ohne Diskussion keine Überzeugung. Ohne Überzeugung kein kraftvoller Beginn. Sprach der Evangelist.

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