Früher bin ich mit dem Versuch, Werte in einer Organisation zu installieren, hart ins Gericht gegangen. Inzwischen bin ich mit meinen knapp 39 Jahren hier etwas altersmilde geworden und sehe den Versuch als nicht mehr völlig nutzlos an. 🙂
Spaß beiseite: Mittlerweile bin ich der Meinung, dass der Prozess der ethischen Willensbildung und -bahnung dem Mitarbeiter nicht nur Orientierung gibt, sondern auch Wettbewerbsvorteile hat. Ein gewisser „Unternehmensgeist“ wird latent immer vorhanden sein. Und da erscheint es sinnvoll und logisch, den Fluss der ethischen Strömung bewusst zu lenken anstatt ihn den Weg über wilde Stromschnellen selbst bahnen zu lassen.
Doch man sollte nie vergessen: Organisationen verändern sich nicht. Menschen verändern sich. Und das auch nur unter bestimmten Bedingungen. Vor kurzem kam ich in Kontakt mit der Werte-Entwicklung eines Technologie-Unernehmens. Der Prozess war nach dem üblichen Schema schon längere Zeit gelaufen: vom Auftrag durch den Vorstand über Führungskräfte-Workshops bis hin zum Plan, die „neuen Werte“ in Kürze auf die Mitarbeiter „herunterzubrechen“.
An diesem Punkt des Projekts holte man mich für einen kreativen Impuls, sprich: für einen Vortrag vor dem Oberen Führungskreis und dem Vorstand. Ich bereitete mich vor, musste situationsbedingt allerdings mit wenigen Informationen arbeiten. Und siehe da: Zwei Kernpunkte meines Vortrags widersprachen diametral dem Ansatz des Unternehmens. Das erfuhr ich fünfzehn Minuten vor meinem Impulsvortrag eher nebenbei. Nun hatte ich die Wahl: die Punkte ausklammern oder meine Überzeugung durchziehen. Ich entschied mich für Letzteres, und siehe da: Mit meinen Bedenken und den vorbereiteten Inhalten traf ich ins Schwarze:
- Ein Prozess der Werte-Entwicklung muss vom Herz getragen werden, muss inspiriert sein. Wenn Leute Angst haben, sich lächerlich zu machen und nicht vom Herzen her zu sprechen, entsteht spätestens im schriftlich fixierten Leitbild ein quälend-langweiliger Business-Sprach-Quark, bei dem man beim zweiten Absatz einschläft. Man merkt einfach, ob diese Essenz aus Workshops, Diskussionen und Formulierungen inspiriert ist oder nicht. Eine technokratische Vision ist keine.
- In jedem Werte-Entwicklungsprozess müssen die Mitarbeiter wenigstens teilweise bottom-up eingebunden sein. Und genau das war hier nicht geschehen. Ich erklärte den Mechanismus an einem Glas Wasser: „Stellen Sie sich vor, Ihr Mitarbeiter ist ein Glas, angefüllt mit Wasser. Das Wasser sind seine Werte. Sie können nicht einfach Ihre Unternehmenswerte in sein Glas kippen. Es läuft über. Der Mitarbeiter wird das nicht zulassen. Er muss freiwillig ein Teil seines Wassers auskippen, sodass Ihre Werte Platz haben.“
Leider hatte das Unternehmen genau diese Fehler gemacht. Ich hatte später Gelegenheit, mit dem verantwortlichen Vorstand zu sprechen, der meine Ansichten teilte, aber den Dingen eben ihren Lauf gelassen hatte. Ich bin gespannt, wie dieser „Change“ in der Organisation weitergeht…
Summa summarum halte ich den Wertentwicklungsprozess inzwischen für einen wertvollen Unternehmensbaustein. Allerdings ist auch hier eine sorgfältige Planung mehr als die halbe Miete. Und man sollte die beiden Mechanismen beachten: das Herz einbinden und die Mitarbeiter.
Photo © Nick Benjaminsz
0 Gedanken zu „Wann Werte-Entwicklung funktioniert – und wann nicht“
Lieber Herr Väth, ich denke auch, dass wir im Kontext dieser Frage auch neu über „zentrale Steuerung“ denken sollten. Ihr Beispiel ist der Klassiker: Die Zentrale macht sich Gedanken über Werte und dann wird „es“ ausgerollt – oft mit raffiniertem Tools – was trotzdem selten funktioniert.
Hier ein paar Anregungen, wie es vielleicht leichter geht; vor allem für Organisationen, die meinen die richtigen Leute an Bord zu haben. Dann Vertrauen sie Ihnen mehr:
https://schlachte.wordpress.com/2014/06/24/demotivation-schlechter-chef-system-oder/
Viele Grüße, Christoph Schlachte
Lieber Herr Schlachte,
danke für Ihren ergänzenden Kommentar. Sie haben natürlich Recht. Eine Voraussetzung für eine Werte-Entwicklung ist, dass die oberste Führungsebene nicht nur intellektuell hinter dem Projekt steht, sondern die geforderten Werte tatsächlich vorlebt. Und spätestens hier geht es um persönliche Veränderungsbereitschaft, Selbstreflexion und das Aufbrechen alter Muster. Auch für den Vorstand gilt: Organzations don’t change. People change.
In meinem Buch „Feierabend hab‘ ich, wenn ich tot bin“ benutze ich für diese Beschreibung das Fraktal-Bild: Wie sich ein Fraktal aus einem Algorithmus in größere Dimensionen immer wieder selbst reproduziert, sollte auch von der Management-Ebene her ein gelebter Werte-Kanon durch Vorbild und persönliches Einstehen in die Organisation hinein gespiegelt werden.
Schönes und wichtiges Thema. Gut auf den Punkt gebracht.
Ich bin da nicht so optimistisch. Menschen machen die Organisation aus. Sie müssen aus meiner Sicht und Erfahrung zwingend in den Prozess mit eingebunden sein, damit die „Werte“ oder „Art der Zusammenarbeit“ intelektuell und emotional verstanden werden und mit den Zielen der Organisation verbunden werden.
Der wichtigste Punkt ist jedoch: Werden die Werte glaubhaft vom Vorstand und Geschäftsführung vorgelebt? Nicht nur bei schönem Wetter und Weltmeisterstimmung; sondern auch im normalen Alltag.
Was dem Vostand selten gesagt wird. Sie müssen auch alte Muster verlernen und loslassen. Schwierig ist das im Alltag, wie wir wissen. Wir sind alle meist auf Autopilot und dann lenken uns alte Muster.
Daraus gibt es Auswege, wenn man sich und seine Organisation Ernst nimmt. Nicht leicht und machbar.
Viele Grüße, Christoph Schlachte