Warum Top-Entscheider an der Digitalisierung scheitern

Mann im Business-Anzug mit Bananen-Pistole

Eine kleine Meldung hat mich diese Woche aufgeschreckt, versteckt zwischen schreienden Headlines, am Rand einer Zeitungsseite, nur 21 Zeilen lang. Es ging um die „Psychologie der Digitalisierung“ und was der disruptive Wandel mit den Führungskräften hierzulande macht.

Digitalisierung erfasst nicht nur den Server, sondern auch die Seele

Zunächst mal finde ich es erstaunlich und erfrischend, dass im Jahr 2016 (!) Studien erstellt werden, die tatsächlich akzeptieren, dass die technologische Revolution der Digitalisierung sich nicht nur im Serverraum abspielt, sondern auch im Gefühlsleben der Menschen. Und dort geht es hoch her. Laut einer aktuellen YouGov-Studie verbinden von 500 befragten Top-Entscheidern in Deutschland immerhin ein Drittel die Digitalisierung mit „sehr negativen Gefühlen wie Angst und Einsamkeit“. Das ist nun nicht die ideale Ausgangslage für kluge Strategien. Denn wer sind die „Top-Entscheider“ in Deutschland? In der Regel weiße Männer über 45 Jahren. Und Männer neigen dazu, auf Angst und Druck mit Aggression nach außen zu reagieren. (Im Gegensatz hierzu richten Frauen ihre Aggression eher nach innen.) Diese Aggression nach außen muss nicht gleich gewaltsam sein. Vielmehr bricht sie sich Bahn in den vielen Spielarten von sinnlosem Aktionismus, den man in Unternehmen heute beobachten kann – gerade wenn es um die Digitalisierung geht.

Man akzeptiert den aggressiven Impuls nicht, sondern verdrängt ihn

Der aus Angst um das Geschäftsmodell geborene Aktionismus, der ganze Unternehmen erfassen kann, wäre noch handhabbar, wenn mit der Angst gleichzeitig eine individuelle Selbstbeobachtung einsetzen würde. Sozusagen ein „Controlling der Seele“, das die Angst nicht verdrängt, sondern sie akzeptiert und ihrer Impulsivität die Spitze nimmt. Doch genau das geschieht anscheinend nicht. Laut der YouGov-Studie wird die Digitalisierung von über 75 Prozent (!) als „rationale Pflichtveranstaltung“ wahrgenommen. Ich erinnere an das Wesen der Top-Entscheider: weiß, männlich, gesetztes Alter. In dieser Kohorte spricht man nicht über Gefühle (wenn man überhaupt welche hat bzw. wahrnimmt). Diese emotional-kommunikative Dysfunktion wird flankiert vom Dogma des allzeit wissenden, souveränen Entscheiders, der nicht zögern oder Schwäche zeigen darf. (Übrigens ist dieses Dogma auch mitverantwortlich dafür, dass New Work hierzulande auf so viel Widerstand stößt: Entmächtigt und entmännlicht sie doch genau die Top-Entscheider, die die neue Philosophie einführen sollen).

Die Kombination aus Aktionismus und emotionaler Verdrängung ist hochriskant

Diese Kombination stellt den schlimmstmöglichen Fall dar: das unbewusste Ausleben aggressiver (bzw. aktionistischer) Impulse aufgrund von Angst bei gleichzeitiger Leugnung der eigenen Gefühle. Auf dieser Grundlage reflektierte strategische Entscheidungen zu treffen ist fast unmöglich. Dabei wären solche klugen Weichenstellungen gerade bei der Digitalisierung gefragt. Und nicht nur das. Wie soll ein Top-Entscheider seine Leute für ein Thema begeistern, das nicht nur unbewusst angstbesetzt ist, sondern von ihm auf die rational-analytische Ebene reduziert wird? Da wird jedes „Commitment“, jedes Einschwören der Mitarbeiter zur reinen Rhetorik-Show.

Erfolgreiche Digitalisierung beginnt in Kopf und Herz der Top-Entscheider

Was bedeuten diese psychischen Dynamiken für eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung in Unternehmen? Es mag abseitig klingen, doch am Anfang sollte ein Coaching der Top-Entscheider für mehr Reflexion und Bewusstsein stehen. Man könnte unter Umständen bei Digitalisierungsprojekten fünf- bis sechsstellige Summen sparen, die durch angstgetriebene Entscheidungen und Aktionismus entstehen, wenn man stattdessen ein paar Tausend Euro in die Persönlichkeitsentwicklung eines Top-Entscheiders investiert. Wenn Kopf und Herz vorbereitet sind, könnte man mit dem obersten Führungskreis weitermachen, mit Workshops oder Coachings. Erst danach sollte man organisatorische Maßnahmen in Angriff nehmen. Ich bin absolut sicher, dass sich ein solches Vorgehen in keiner der Dutzenden Roadmaps findet, die von Digitalisierungsberatern im ganzen Land unter die Leute respektive die Top-Entscheider gebracht wird. Schade eigentlich. Denn richtig angepackt, ist Digitalisierung ein Win-Win-Win-Geschäft: Der Top-Entscheider kann persönlich wachsen, das Unternehmen spart eine Menge Geld und den Mitarbeitern entstehen weniger Stress und Arbeit. Hoffen wir diesbezüglich auf 2017!

P.S.
Ich mache über die Feiertage eine kleine Weihanchtspause. Die nächste Freitagskolumne gibt es am 13.01.17.

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