Ich halte die Annahme, wir lebten in einer Wissensgesellschaft, inzwischen für weitgehend falsch. Warum? Ein kleines Beispiel: In regelmäßigen Abständen, so mindestens einmal pro Woche, erhalte ich Presseanfragen: für Interviews, Podcasts und so weiter. Vom öffentlich-rechtlichen Sender bis zum kleinen Blogger ist da alles dabei.
Bis vor kurzem habe ich das so gehandhabt, dass ich gesagt habe: Klar, mache ich gerne. Ist wenig Aufwand, und man bekommt ja – angeblich – Reichweite und somit Sichtbarkeit. Auf den ersten Blick eine Win-Win-Situation für das Medium und mich, wie man so schön sagt.
Vor einiger Zeit bin ich dann dazu übergegangen, für Interviews, Podcast-Anfragen etc. Geld zu verlangen: 250 EUR netto pauschal. Ich wollte einfach mal sehen, was passiert. Und siehe da: Niemand ist bereit zu zahlen. Die Reaktionen der Anfrager reichen von überrascht bis erbost. Was, da will jemand Geld für sein Wissen und seine Erfahrung? Unerhört! Man ist doch so ein toller Blogger, der supergeile Reichweite bietet. Der Väth soll dankbar sein, dass man ihn in seine Sendung nimmt.
Nee, sorry, is‘ vorbei. Ich weiß, dass Interviews ohne Honorar nicht nur in meiner Branche gang und gäbe sind. Aber im Grunde zeigt dass nur, dass man den „Experten“ geringschätzt und sein angeblich so wertvolles Wissen ein Wegwerfprodukt ist: austauschbar, Füllmaterial für ein Medium, ohne ökonomischen Gegenwert.
Jetzt könnte man sagen: Na ja, okay, was der Väth sagt, ist halt nicht so wichtig. Würde ich auch nicht für zahlen. Ich glaube aber, dass das Problem tiefer geht. Die Nichtachtung oder Geringschätzung von Wissen zieht sich mittlerweile durch viele Bereiche des täglichen Lebens. Wissen verfällt rapide, und Experten geraten schnell unter den Verdacht der Ahnungslosigkeit oder Schwurbeligkeit. Da muss man gar nicht mit der Keule der „postfaktischen“ (oder besser „antifaktischen“) Gesellschaft kommen.
Ein Sprichwort lautet: „Talk is cheap. Everybody can talk.“ Und so ist es auch. Die bisherigen Erfahrungen zeigen mir, dass Wissen praktisch nichts kosten darf. Der Speaker-Markt ist tot, und für klassische Trainings gehen die Preise schneller in den Keller als man Piep sagen kann. Was das für die Weiterbildungsbranche bedeutet, kann man noch gar nicht richtig erfassen. Coaching geht schon massiv inhouse, das „Social Learning“ durch Working Out Loud und andere interaktive Formate ist schwer im Kommen. Da wird der eine oder andere klassische Weiterbildungsanbieter mittelfristig untergehen.
Denn es gibt ja auch soviel frei verfügbares Wissen: bei Wikipedia, in unzähligen YouTube-Videos, Online-Kursen und so weiter. Diese Wissensquellen nutze ich persönlich auch: aufgrund der freien Entscheidung des Wissensgebers, das gratis zur Verfügung zu stellen. Ist wie gesagt die freie Entscheidung jedes Einzelnen.
Nun, um den Bogen zu schließen, ist es meine persönliche Entscheidung, aus dem Kostenlos-Interview-ChiChi auszusteigen. Klingt blöd, aber ich bin nicht die Wohlfahrt. Wer mein Wissen und meine Erfahrung will, soll dafür zahlen. Wer das nicht will, lässt es halt. Aber meine Zeit ist zu schade, als sie gegen fragwürdige Werbe- und Reichweiteneffekte zu tauschen. Lieber gepflegt Kaffee trinken oder mit meinen Kindern spielen.