Hintergrund
Was steckt hinter dem Konzept New Work? Was sind seine Wurzeln, sein Kern, aber auch Missverständnisse? Hier kläre ich über die wichtigsten Punkte zu New Work auf und gebe Ihnen eine fundierte Orientierung.
«Die Arbeit ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Arbeit.» Dieser programmatische Satz steht wie eine Mahnung über dem Lebenswerk des Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Ein Exot unter den Denkern des 20. Jahrhunderts, der sich mit den Kernthemen Arbeit und Freiheit beschäftigte. Er hielt eine Tätigkeit des Einzelnen innerhalb unseres Arbeitssystems und damit innerhalb der sie konstituierenden Organisationen für «eine milde Krankheit, die montags komme und freitags gehe». Immer wieder kritisierte er die, wie er sie nannte, «Lohnarbeit im Minirock» und dass er seine Vorstellung von New Work im Grunde nirgendwo konsequent umgesetzt sehe.
Daher zeigte Bergmann auch praktisch kein Interesse am Innenleben von Organisationen, an Organisationsentwicklung, Management, Führung oder ähnlichen Themen. Er dachte immer groß: New Work war für ihn ein Thema der Gesellschaft, nicht nur der wirtschaftlichen Sphäre. In diesem Sinne sind Ableitungen seines New-Work-Gedankens für moderne Organisationen auch ein gutes Stück eigenständige Weiterentwicklung. Das zeigt sich in dem sehr breiten Diskurs, der sich zum Phänomen New Work gebildet hat – von allgemein philosophischen Auseinandersetzungen zu Arbeit und Freiheit über den Humanisierungsdiskurs in Organisationen bis hin zum Managementdiskurs über Methoden und Techniken moderner Organisationsgestaltung . Gleichzeitig ist dieser breite Diskurs ein Zeichen dafür, dass New Work im Mainstream der Organisationsentwicklung angekommen ist.
Frithjof Bergmann hat immer wieder betont, dass die zentralen Werte seiner Neuen Arbeit Freiheit, Selbständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft seien. Er plädierte für einen neuen Weg des Arbeitens, der sich im Alltag durch eine praktische Dreiteilung ausdrücken sollte: klassische Erwerbsarbeit innerhalb des von ihm als sehr problematisch angesehenen Lohnarbeitssystems; eine, wie er es selbst nannte, «High-Tech-Selbstversorgung» des Einzelnen (die in seinen Augen nur mit enormen Innovationen in Digitalisierung und Produktionstechnologie zu erreichen ist); und eben die Arbeit, die man wirklich, wirklich will – nicht unbedingt als bezahlte Arbeit, aber als eine Tätigkeit, die den Einzelnen unterstützt, ihn seine persönlichen Stärken ausspielen lässt und seinen Bedürfnissen entspricht.
Diese Seite ist ein Ausschnitt aus meinem Grundsatzartikel zu New Work in der “Zeitschrift für Organisationsentwicklung” (Ausgabe 4/23).
Nimmt man Bergmanns Schriften ernst, verbietet sich eine Anwendung in traditionellen Organisationen von selbst, da diese im normalen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftskontext agieren, der keine «Arbeit, die man wirklich, wirklich will» zulässt bzw. fördert. Wie also kann man den inspirierenden Gedanken Berg- manns von sinnvoller Arbeit und lebendigem Menschsein in normalen Organisationen verwirklichen? Hierfür braucht es eine konzeptionelle Brücke, die einerseits den Kern des «wahren» New Work beherbergt und andererseits die gesellschaftlichen Realitäten wie eine soziale Marktwirtschaft oder ein Lohnarbeitssystem akzeptiert – mithin also nicht mehr versucht, New Work als Revolution der Verhältnisse, sondern zunächst als Revolution des Denkens innerhalb der Verhältnisse zu begreifen.
Dies gelingt, indem die ursprünglichen Werte der Neuen Arbeit – Selbständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft – in Prinzipien überführt werden, die gleichzeitig für die Ebenen Mensch, Organisation und Gesellschaft gelten können. Ich schlage hierfür die fünf Prinzipien Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und Soziale Verantwortung vor. Arbeit, die man wirklich, wirklich will, würde zu einem individuellen, organisatorischen und gesellschaftlichen Reflexions- und Findungsprozess, von dem letztlich alle Menschen profitieren sollen. Dafür müssen wir uns allerdings vor gefährlichen Debattenverkürzungen hüten, wie sie momentan in der New-Work-Diskussion leider oft auftreten. Da wird beispielsweise schlichtes Homeoffice bereits als New Work gepriesen – obwohl es in seiner konkreten praktischen Ausprägung immer noch mit einer Kultur der Kontrolle und der Ausbeutung verbunden ist und eben nicht mit sinnvoller Arbeit, Freiheit und eigenständiger Gestaltung.
Als Führungskräfte, Berater und Wissenschaftler sollten wir uns weiter aktiv und gleichzeitig wohlwollend-kritisch mit New Work auseinandersetzen – damit sich die Inspiration der «Arbeit, die man wirklich, wirk-lich will» und der Impuls von Freiheit, Selbständigkeit und Teil- habe an der Gemeinschaft auch in Organisationen durchsetzt. Das wäre eine sinnvolle Umsetzung von Bergmanns Vermächtnis, dessen Reden und Handeln immer von Menschenfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit geprägt war. Arbeit, die man wirklich, wirklich will, in Organisationen, die menschenorientiert und sozialverantwortlich handeln – das könnte ein Ziel für das New Work im 21. Jahrhundert sein.
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